Horst Conze ist Religionslehrer an der Ferdinand-Braun-Schule in Fulda – einer der größten beruflichen Schulen in Hessen. Dort ist er Fachsprecher für die Fächergruppe Religion/Ethik. Außerdem engagiert er sich im Vorstand des Landesverbands katholischer Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Berufsbildenden Schulen (VKR). Im Interview gibt er Einblicke in seinen Schulalltag und seine Arbeit im VKR.
„Wer Menschen gewinnen will, muss sein Herz zum Pfand einsetzen. Das gilt wahrscheinlich für jede Lehrerin und jeden Lehrer, ganz besonders aber im Religionsunterricht."
Lieber Horst, ein etwas provokantes Statement vorab: Nicht selten hört man: „Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen? Was soll das? Die Schüler sollen etwas Praktisches lernen und arbeiten, nicht beten …“ Was sagst du dazu?
Religionsunterricht basiert für mich zuallererst auf der Freiheit der Schülerinnen und Schüler zu glauben – auch in der öffentlichen Schule –, und ihrem Recht über ihre Religionsgemeinschaft Bescheid zu wissen. Das ist das Erste, was ich erkläre, wenn ich auf eine neue Lerngruppe treffe.
Außerdem ist Religion wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, in der sich die Schülerinnen und Schüler zurechtfinden sollen – man denke nur daran, wie sehr der Jahresablauf durch religiöse Feiertage geprägt ist.
Und: Gerade in der beruflichen Bildung geht es darum, die Schülerinnen und Schüler zu mündigen, selbstdenkenden Menschen zu bilden. Es geht nicht nur darum zu lernen, wie man arbeitet, wie dies und das funktioniert, sondern darum, wozu man arbeitet, was die eigenen
Motive, Werte und Einstellungen sind. Selbst die Wirtschaft fordert von
der Schule Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
gelernt haben, über ihr Leben und unsere Gesellschaft zu reflektieren.
Es geht auch um Teamfähigkeit und Toleranz gegenüber Kolleginnen und
Kollegen aus anderen Kulturen.
Zu diesen und vielen weiteren Zielen hat der Religionsunterricht eine Menge zu bieten.
Seit 2001 bist du bereits Religionslehrer an der
Ferdinand-Braun-Schule und kannst schon auf über 20 Jahre
Berufserfahrung zurückblicken. Wie hat sich der Religionsunterricht an
berufsbildenden Schulen über die Jahre verändert?
Ich
kann mich noch gut an meine Anfänge als Religionslehrer erinnern. Bischof Johannes Dyba war gerade erst verstorben. Damals war Religion und Kirche
bei vielen Schülerinnen und Schülern noch Thema im Religionsunterricht.
Schüler schimpften über die aus ihrer Sicht konservative, überalterte, hinterweltliche
Kirche vor Ort und Kritik, auch so manches Vorurteil, wurde im
Religionsunterricht offen geäußert. Das war nicht immer bequem, aber:
die Schülerinnen und Schüler kannten sich aus.
Heute ist das
anders: Es weiß kaum noch jemand über Religion und Kirche Bescheid. Nur
wenige haben tiefere eigene Erfahrungen mit Kirche gemacht oder sind
kirchlich gebunden. Das bringt aber auch Chancen mit sich: Wenn man als
ganze Person und Vertreter einer Religionsgemeinschaft vor der Klasse
steht und Position bezieht, nutzen viele Schülerinnen und Schüler die
Möglichkeit, sich zu informieren: „Erzählen Sie mal, Herr Conze, wie das
bei Ihnen ist“ – das höre ich oft. Ich erlebe, dass es bei Schülerinnen
und Schülern auch heute Interesse an religiösen Fragen gibt. Und die
religiösen Fragen, die sie umtreiben, sind die gleichen geblieben: Es
geht um existentielle Themen, um Fragen nach Leben und Tod, Fragen nach
ethischen Konfliktsituationen … um Sterbehilfe, Organspende,
Schwangerschaftsabbruch …
Was gefällt dir an deiner Arbeit? Was fordert dich heraus?
Als
Religionslehrer bin ich oft der letzte Vertreter meiner Kirche, denen
Schülerinnen und Schüler, die nicht kirchlich gebunden sind, für lange
Zeit, manchmal für immer begegnen. Ich schätze es mit ihnen in diesem
Lebensabschnitt über persönliche Lebensfragen und gesellschaftliche
Themen nochmal ins Gespräch zu kommen und ihnen vielleicht den ein oder
anderen Gedankenanstoß für ihr Leben mitzugeben. Ich glaube, bei dem ein
oder anderen, bleibt schon etwas hängen.
Mit gefällt es auch Stellung beziehen zu müssen, als ganze Person herausgefordert zu sein.
Was
die Herausforderungen angeht, ist es sicherlich nicht immer einfach ein
besonderes Fach wie Religion als ordentliches Lehrfach benoten zu
müssen – das fällt mir oft schwer.
Schwierig ist auch, dass
immer mehr Kinder und Jugendliche keinen Background mehr haben, was
Religion allgemein, was christlicher Glaube und Kirche bedeuten. Im
Berufsschulreligionsunterricht muss man dann mit den Basics anfangen,
ethische Themen stehen im Vordergrund. Der Religionsunterricht kann dann
nicht dazu dienen, christliche Themen für christliche Schülerinnen und
Schüler zu vertiefen, die bereits Erfahrungen mitbringen. Religiöse
Perspektiven müssen in diesem Unterricht eher punktuell eingespielt werden.
Eine
besondere Herausforderung ist natürlich auch der Unterricht in der
Berufsschule. Im Unterschied zum beruflichen Gymnasium wird Religion bei
uns – wie in den meisten Berufsschulen – im Klassenverband unterrichtet
und es wird nicht nach Konfessionszugehörigkeit getrennt. Die
Heterogenität ist hier riesig – was die weltanschaulichen
Voraussetzungen angeht, aber auch von der allgemeinen Lernausgangslage
her: In den Klassen finden sich Schülerinnen und Schüler ohne
Schulabschluss bis hin zu denen mit Abitur. Es finden sich Schülerinnen
und Schüler, die Grundfertigkeiten wie Lesen und Schreiben nicht
beherrschen, bis hin zu Schülern, die sprachlich top sind. Hier den
richtigen Umgang zu finden und klarzukommen, ist die große Kunst!
Was
macht den Religionsunterricht an vielen Berufsschulen so besonders?
Welche Chancen, welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus?
Über
die Schwierigkeiten des Berufsschulreligionsunterrichts habe ich ja
gerade schon gesprochen. Die Chancen des Religionsunterrichts in der
Berufsschule, aber auch in der Fachoberschule und weiteren Schulformen
der beruflichen Schulen ist, dass Religion hier kein Prüfungsfach ist.
Man ist nicht so eng getaktet wie im oft 2-stündig erteilten
Religionsunterricht im beruflichen Gymnasium, der auf das Abitur
vorbereiten muss. Man hat große Freiheiten, was die
Unterrichtsgestaltung angeht und kann Themen besprechen, die
Schülerinnen und Schüler wirklich interessieren.
Der Unterricht
mit der ganzen Klasse ohne konfessionelle Trennung hat auch den
Riesenvorteil, dass man nicht im eigenen Saft schmort. Wenn Christen,
Atheisten, Muslime usw. anfangen miteinander anstatt übereinander zu
sprechen, dann ist diese Form des Religionsunterrichts eine riesige
Chance für die Jugendlichen und unsere Gesellschaft. „Die“ Muslime,
„die“ Christen erhalten hier ein Gesicht. Viele Muslime erfahren hier
zum ersten Mal von anderen die Wertschätzung ihrer Religion, dass sie
etwas einbringen können, das andere interessiert. Anders als in einem
religionskundlichen Unterricht kommen Glaubensüberzeugungen persönlich
zur Sprache und können diskutiert werden. Da kann es dann auch mal zur
Sache gehen. Die Schüler lernen: Man muss nicht alles gut finden, aber
man kann Vieles akzeptieren. Nur so kann sich wirkliche Toleranz statt
bloßer Indifferenz herausbilden. Bemerkenswert finde ich, dass sehr
wenige Schülerinnen und Schüler den Religionsunterricht an unserer
Schule mit diesem Modell ablehnen. Es gibt so gut wie keine Abmeldungen.
Das Modell ist sehr geschätzt.
Über den RU hinaus: Gibt es an deiner Schule auch besondere seelsorgliche oder pastorale Angebote?
Unsere
Schule hat einen Seelsorgeraum. In der 1. großen Pause gibt es dort
immer ein Gesprächsangebot für Schülerinnen und Schüler, die Hilfe
brauchen. Es finden auch öfter seelsorgliche Gespräche zwischen Tür und
Angel statt.
Unsere evangelische Schulpfarrerin Ute Kohl
gestaltet Weihnachts- und Schulabschlussgottesdienste, in denen die
Erfahrungen, Hoffnungen und Wünsche der Schülerinnen und Schüler zur
Sprache kommen. Diese Gottesdienste sind immer sehr bunt. Die
Schülerinnen und Schüler bringen sich großartig ein. Kirche ist hier
ganz nah am Menschen. Die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern sind
von den „bunten“ Gottesdiensten oft sehr beeindruckt. Und mich
beeindruckt, wie viele Menschen an diesen Gottesdiensten teilnehmen –
auch Menschen, die sonst keinen Bezug zur Kirche haben und dann positiv
überrascht sind.
Manchmal gibt es auch besondere Angebote und
Aktionen. In der Adventszeit hat Pfarrerin Kohl mit einer Klasse an
jedem Tag auf dem Schulhof ein Türchen eines großen Adventskalenders
geöffnet. Da wurde dann zum Beispiel an einem Tag eine Taube als Symbol
für Frieden und Hoffnung fliegen gelassen.
Du bist seit
Langem auch im Vorstand des Landesverbands katholischer Religionslehrerinnen
und Religionslehrer an Berufsbildenden Schulen (VKR) aktiv. Was ist der
VKR und was treibt euch dort derzeit um?
Der VKR ist
die Interessenvertretung der Kolleginnen und Kollegen, die
Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen erteilen. Ich bin im
Landesverband Hessen aktiv. Als Verband versuchen wir alle Akteure, die
mit dem Religionsunterricht in der beruflichen Bildung zu tun haben, zu
vernetzen. Wir halten den Kontakt zu den staatlichen und kirchlichen
Stellen, aber auch zu Arbeitgeberverbänden, denen der
Religionsunterricht wichtig war und ist. Einmal im Jahr veranstalten wir
eine Jahrestagung „Religionsunterricht in Bewegung – Die ökumenische
Tagung zum BRU“. Außerdem sind wir oft mit einem Stand beim
Katholikentag und bei den religionspädagogischen Tagen der Bistümer –
wie dem Reli-Tag – mit dabei. Das, was uns momentan am meisten umtreibt,
sind Nachwuchssorgen. Es kommen kaum junge Kolleginnen und Kollegen
nach, die Religion studieren und unterrichten möchten.
Wie viele Mitglieder habt ihr und welche Vorteile haben Lehrer, die dem VKR angehören?
Bundesweit
haben wir 1200 Mitglieder, davon 78 in Hessen. Wenn man dem VKR
angehört, ist man immer gut informiert, was den
Berufsschulreligionsunterricht angeht. Außerdem erhält man die
Mitgliedszeitschrift „Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen“
(rabs) mit Fachartikeln zum BRU und Ideen zur Unterrichtsvorbereitung.
Willst du den Kolleginnen und Kollegen zum Schluss noch etwas mit auf den Weg geben?
Als
Kolpingbruder halte ich es mit unserem Gründer: „Wer Menschen gewinnen
will, muss sein Herz zum Pfand einsetzen.“ Das gilt wahrscheinlich für
jede Lehrerin und jeden Lehrer, ganz besonders aber im
Religionsunterricht.
Lieber Horst, ich danke dir für das ausführliche Gespräch!
Das Interview führte Emanuel Rasche.